Nina lernte ich im Alter von zwei Jahren kennen, als sie auf einer Intensivstation lag. Sie litt an einer neurodegenerativen Erkrankung, die dem Krankheitsbild des „Wachkomas“ glich. Ihre Mutter hatte mich gebeten, sie musiktherapeutisch zu begleiten. Zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens fuhren ihre Vitalwerte Achterbahn. Ich versuchte, ihren Atemrhythmus mit der Ocean Drum aufzugreifen und Nina sprach sofort darauf an: Ihre Atemzüge wurden tiefer, die Werte stabilisierten sich und insgesamt machte sie einen entspannteren Eindruck. Damit hatte ich selbst nicht gerechnet und es gab für mich lange keine vergleichbare Reaktion auf meine Arbeit.
Ab diesem Zeitpunkt sollte ich Nina wöchentlich aufsuchen und begleitete sie die nächsten fünf Jahre ihres Lebens. Die Ocean Drum kam weiter zum Einsatz. Ich spielte sie in Ninas Atemrhythmus. Ihr schien das zu gefallen, denn hin und wieder wirkte es, als würde sie ihren Atem bewusst kurz anhalten – woraufhin die Musik mit ihr stoppte und Nina zu grinsen begann. Sie liebte das Lied „Pirate“ von Kasalla. Ich spielte es ihr immer wieder auf der Gitarre vor und es wurde fester Bestandteile unseres Repertoires und eine Art Verbindungsstück.
Nina verstarb im Alter von sieben Jahren in der ersten Corona-Welle. Daher war es mir leider nicht möglich, mich mit einem meiner Rituale zu verabschieden, was mir zu dieser Zeit sehr zusetzte. Ihre Mutter lud mich einige Tage nach der Beerdigung ein, mich mit ihr an Ninas Grab zu treffen und meine Gitarre mitzubringen. Sie hatte Kaffee und Kuchen mitgebracht und wünschte sich von mir ein Lied, das ich mit Nina verbinde. Und dann spielte ich: „Pirate“ von Kasalla.
Eva Lebertz, 1. Mai 2021